„Ins Buch des Lebens eingeschrieben“

Stolpersteine-2015Jugendliche der Klasse 9aG zeichneten das Leben der von den Nazis Ermordeten nach.

STOLPERSTEINE Erinnerung an jüdische Mitbürger in Schotten, die von den Nazis ermordet worden sind / Elf Stationen

„Alle Menschen, an die wir uns heute erinnern, hatten eins gemeinsam: Sie versuchten, vor Terror und Ermordung zu fliehen. Es ist ihnen nicht gelungen“ – so Pfarrer Frank Eckhardt am Schluss des Gedenkrundgangs. Nach den 16 Stolpersteinen des vergangenen Jahres wurden nun elf weitere mit Namen und Lebensdaten von ehemals jüdischen Bürgern in Schotten gesetzt. Ehrenbürgermeister Hans Otto Zimmermann, Manfred Schlosser, Elke Schmidt (Vogelsberger Kultur- und Geschichtsverein) und Pfarrer Eckhardt, die Mitglieder der Initiativgruppe Stolpersteine, hatten in langer Suche Fakten zu den Lebensläufen gesammelt. An der Vogelsbergschule setzten sich Jugendliche der Klasse 9 aG mit Lehrer Rudi Graf im Geschichtsunterricht damit auseinander. Sie gestalteten den Gedenkrundgang mit, neben Graf wurden sie von Schulleiter Wilhelm Lückel und Klassenlehrerin Sandra Witte begleitet. Eine größere Gruppe Bürgerinnen und Bürger folgte.

Gunter Demnig, Künstler und Initiator der Stolpersteine, setzte die vorbereiteten Werkstücke, Erik Grasecker vom städtischen Bauhof war ihm behilflich. An jedem Stolperstein gab einer der Jugendlichen eine kurze Biografie der von den Nazis Ermordeten, legte eine Rose nieder. So gelang es, Namen auf Opferlisten wieder in das Bild konkreter Personen zurückzuverwandeln. An der Gederner Straße 6 hatte Sally Kahn gelebt und eine Firma für technischen Bedarf geführt. Beim Umzug nach Frankfurt erhofften er und seine Tochter Lieselotte wohl, in der Großstadt verschont zu bleiben. Beide wurden 1941 im Ghetto Litzmannstadt ermordet. Der Tochter Ilse scheint die Flucht nach Palästina geglückt zu sein. Der Stolperstein für Lion Kahn liegt in der heutigen Vogelsbergstraße 57, wo die Familie einst ein kleines Textilgeschäft führte, 1938 wohl unter Zwang verkauft. Lion Kahn überlebte die Lager Theresienstadt und Auschwitz und ging nach kurzem Aufenthalt in Schotten 1945 vermutlich zu seinem Sohn in die USA.

In der Vogelsbergstraße 63 hatten Unbekannte den hölzernen Platzhalter herausgenommen und einen Stein einbetoniert – mehr Mut hätte es bewiesen, wenn sie ihre Kritik an der Stolpersteinaktion bei den Beteiligten angesprochen hätten. Hier lebte Käthchen Strauss, die in Theresienstadt ermordet wurde. Sie hatte zuvor ihre beiden Söhne an der Bluterkrankheit verloren. In der Vogelsbergstraße 102 hatte Sally Kaufmann gewohnt, der Umzug nach Wiesbaden hatte ihn nicht geschützt, auch er wurde in Theresienstadt ermordet, ebenso wie Betty Stern, die im Färbergässchen, Ecke Vogelsbergstraße 138 lebte. „Unfreiwillig verzogen 1938 nach Frankfurt/Main. Gedemütigt, entrechtet, Flucht in den Tod 1939“ ist auf dem Stolperstein von Gustav Katz, Marktstraße 31 zu lesen. Zu den Ärmsten seiner Schottener Glaubensgenossen gehörte Isaak Essinger, der mit seiner Familie gegen geringe Miete in einem Haus der jüdischen Gemeinde in der Karlstraße 20 wohnte. Er wurde in Theresienstadt ermordet. Die letzten Stolpersteine in der Ludwigstraße 16 galten der Erinnerung an Albert und Selta Wolff und ihre Tochter Lieselotte, denen zunächst die Flucht nach Holland gelang und 1944 deportiert und ermordet wurden, die Eltern in Auschwitz, die Tochter in Bergen-Belsen. Ein Platzhalter wurde für die Tochter Hannelore gesetzt, deren Schicksal noch nicht aufgeklärt werden konnte.

Hans Otto Zimmermann sprach namens der Initiative, Lehrerin Bozena Krause (Geige) spielte Kompositionen aus dem Film „Schindlers Liste“, Pfarrer Eckhardt hielt eine kurze Andacht, die mit dem gemeinsam gesprochenen Vaterunser endete. Vulkanbäcker Haas lud Demnig, die Initiative-Mitglieder und die Jugendlichen ins Café ein. Was nachklang, waren die Worte, die Eckhardt bei jedem Stolperstein gesprochen hatte: „Euer Name sei ins Buch des Lebens eingeschrieben“.

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Quelle Text & Bild: E. Maresch, Kreisanzeiger vom 7.10.2015

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